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Vom Problemfall zur gesellschaftlichen Normalität
 

Volker Beck MdB, Rede zur Gründungspräsentation
der schwulen Unternehmensberatung Antinous
Frankfurt am Main, 7. Juni 2001

- Es gilt das gesprochene Wort -

Meine Damen und Herren,

Gehen Sie mit mir auf eine kleine Zeitreise:
Versetzen Sie sich mal um 30 Jahre zurück.
Eine solche Veranstaltung wie heute wäre völlig undenkbar gewesen.

Menschen laden ein zur Gründungspräsentation einer schwulen Unternehmensberatungen. Schwule Unternehmungsberatung?
Damals konnte man sich unter einem schwulen Unternehmen höchstens eine schummerige Bar im Rotlicht-Milieu vorstellen.

Gleichgeschlechtliches Zusammenleben galt vor deutschen Gerichten damals noch als sittenwidrig. Man konnte wegen Homosexualität enterbt werden.

Gehen sie nochmals zwei Jahre weiter zurück. Da war männliche Homosexualität noch strafbar. Und das im demokratischen Rechtsstaat Bundesrepublik! Schwule waren rechtlos. Erst 1969 wurde die generelle Strafbarkeit homosexueller Handlungen unter Männern aufgehoben.

Das hört sich heutzutage an wie Geschichten aus einer düsteren grauen Vorzeit.

Das Unternehmen Antinous“ hat sich einen Namen erwählt aus einer ganz anderen Zeit. Einer Epoche, von der viele heute annehmen, sie habe dem gleichgeschlechtlichen Leben weitaus toleranter gegenübergestanden als die meisten nachfolgenden Jahrhunderte abendländischer Geschichte.

Es war die Zeit der größten Blüte des Römischen Reiches. Die Zeit der sogenannten fünf guten Kaiser“. Diese Monarchen gelten – auch nach heutigen Massstäben – als human, aufgeklärt und tolerant. Und Kaiser Hadrian galt als der besten von allen. Antinous war sein Geliebter. Nachdem Antinous im Jahre 130 im Nil ertrunken war, ließ der untröstliche Kaiser seinem Geliebten im ganzen Reich Statuen errichten und bestimmte, dass Antinous als Gott verehrt werden sollte.

In dieser Liebesgeschichte sehen wir trotz aller kultureller Differenz, trotz der zeitlichen Kluft von zwei Jahrtausenden doch viel Vertrautes.
Denn auch heutzutage gilt: Welcher Schwule möchte nicht gerne von seinem Liebsten vergöttert werden?

Nochmals eine kleine Zeitreise, nun ins 19. Jahrhundert:

Aus dem Jahr 1865 ist für Deutschland erstmals die Forderung Homosexueller überliefert: Es muß noch dahin kommen, daß wir uns förmlich verheirathen können“.
Karl Heinrich Ulrichs, der große Vorkämpfer und Pionier der Schwulenbefreiung hat diese Zeilen zu Papier gebracht. Seine ersten Emanzipationsschriften hat er übrigens hier in Frankfurt am Main verfasst.

Seine Forderung war damals so revolutionär, dass Ulrichs von Ärzten per Ferndiagnose für verrückt erklärt wurde.

Dem Staat galt gleichgeschlechtliche Liebe damals als Verbrechen, den Kirchen als Todsünde und den Medizinern vielfach als Krankheit.

Auch für Schwule und Lesben war Ulrichs Forderung nach der gleichgeschlechtlichen Ehe so ungeheuerlich revolutionär, dass dieser Gedanke erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder ernsthaft aufgegriffen wurde.

Jetzt ist eine weitgehende Erfüllung dieser Forderung in greifbare Nähe gerückt.

Im vergangenen Jahrzehnt Jahren konnten wir einen bemerkenswerten Meinungsumschwung erreichen. Wurde die sogenannte Homo-Ehe“ zu Beginn der 90er Jahre noch von fast zwei Dritteln der Bevölkerung abgelehnt, ermitteln heute die Meinungsforscher regelmäßig Zustimmungsraten von über 55 %.
Bei den unter 30-jährigen votieren über dreiviertel der Befragten für die Gleichstellung homosexueller Paare.

Am 10. November 2000 war es soweit. 31 Jahre, nachdem die Strafbarkeit der Homosexualität unter Erwachsenen aufgehoben wurde, hat der Bundestag die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften beschlossen.

Das ist ein historisches Datum für Lesben und Schwule.
Wir haben einen großen Durchbruch geschafft.

Die Mehrheit der Volksvertreter hat dafür gestimmt, dass eine Minderheit endlich ihr gutes Recht bekommt.

Am 1. August soll das Gesetz in Kraft treten.
Es kommt die Eingetragene Lebenspartnerschaft mit allen Rechten und Pflichten von Familienangehörigen.
Es sind aber noch zwei Hürden zu nehmen.

Hürde Nummer 1: Die Bundesländer müssen noch Ausführungsgesetze beschließen.

Die unionsgeführten Länder haben im Bundesrat einige Ergänzungsregelungen zur Lebenspartnerschaft blockiert. Durch diese Blockadepolitik enthält das Lebenspartnerschaftsgesetz nun keine Festlegung über die zuständige Behörde und die Eintragungsformalitäten.

Daher ist es nun gemäß Art. 83 Grundgesetz Aufgabe der Bundesländer, Ausführungsvorschriften zu erlassen.

In den Mehrzahl der Bundesländer sind Ausführungsgesetze zur Lebenspartnerschaft in Vorbereitung, die das Standesamt als zuständige Behörde festlegen.

In Hessen will die Landesregierung als zuständige Behörde die Gemeindevorstände benennen. Diese müssen dann ihrerseits bestimmen, ob sie als Eintragungsort das Standesamt oder eine andere Behörde festlegen.

Das ist absurd. Die Landesregierung kneift. Sie reicht die Standesamtsfrage wie eine heiße Kartoffel an die Kommunen weiter. Dadurch entsteht Rechtsunsicherheit und Verwaltungswirrwarr. Da werden ideologische Gefechte auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen.

Hürde Nr. 2: Die Verfassungsklage gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz

Bayern will Verfassungsklage einlegen. Die Münchener Staatsregierung hat beim Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag auf eine einstweilige Anordnung gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz gestellt. Dieser Antrag soll bezwecken, dass die Lebenspartnerschaft solange auf Eis gelegt wird, bis Karlsruhe das Gesetz inhaltlich geprüft hat.

Eine Entscheidung über den bayerischen Eilantrag wird erst im Juli ergehen.

Durch die taktischen Spielchen der CDU/CSU werden die schwulen Bürger und lesbischen Bürgerinnen leider bis kurz vor Schluss im Ungewissen gehalten, ob pünktlich zum 1. August eine Eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen werden kann. Das ist eine kleinliche und üble Schikane.

Der Bundestag hat seine Hausaufgaben in Sachen Lebenspartnerschaft längst erledigt. Die Bevölkerung ist ebenfalls mit klarer Mehrheit von dem Reformprojekt überzeugt. Jetzt geht es darum, auch die letzten Hürden noch zu nehmen.

Denn warum sollte in Deutschland unmöglich sein, was anderen europäischen Ländern seit vielen Jahren Recht und Gesetz ist?

Nur weil in Bayern die Uhren anders gehen?

Viele Staaten in Europa haben Antidiskriminierungsgesetze eingeführt, die ausdrücklich auch einen Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität vorsehen. Dänemark, Norwegen, Schweden, Island und die Niederlande haben die Standesämter für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Frankreich hat mit dem pacte civil“ ebenfalls ein Gesetz eingeführt, das gleichgeschlechtliche Partnerschaften rechtlich anerkennt.

Mit diesen Gesetzen findet ein grundlegender Perspektiv-Wechsel statt: Jahrhundertelang hat der Staat Homosexuelle nur als Sexualwesen wahrgenommen, jetzt werden sie endlich auch als Sozialwesen anerkannt.

Homosexuelle machen schließlich nicht 24 Stunden am Tag Sex.
Sie kaufen Brötchen, lesen Zeitung, vergessen schon mal Tante Friedas Geburtstag, haben gelegentlich Rückenschmerzen, besuchen das Schwimmbad, stöhnen über ihre Steuererklärung, nutzen den Sommerschlussverkauf und fahren in den Urlaub. Schwule fahren Auto, gehen zur Arbeit oder gründen Unternehmen.
Und daneben finden wir halt auch noch etwas Zeit, uns für das gleiche Geschlecht zu interessieren.

Der Perspektiv-Wechsel vom Sexual- zum Sozialwesen, das ist auch der Hintergrund, vor dem heute eine schwule Unternehmensberatung gegründet werden kann.

Schwule und Lesben haben Erfolgsgeschichte geschrieben. Gesellschaft, Politik, Behörden, Teile der Wirtschaft und viele Verbände sind auf dem Weg, ihr Verhältnis zu unseren Lebensweisen zu normalisieren.

Der erbitterte Widerstand vieler konservativer Kräfte gegen diese Normalisierung zeigt aber: Von selbst geschieht nichts. Jeder Schritt musste und muss hartnäckig erkämpft werden. Es liegt an uns Lesben und Schwulen, hier weiterzukommen.

Immer mehr Menschen gelingt es, sich im Alltag als Schwuler oder als Lesbe Respekt zu verschaffen. Wir sind längst nicht mehr ängstlich in den dunklen Ecke versteckt. Immer mehr stehen offen ihren Mann: in der Wirtschaft, in der Politik, in den Medien - ja schlichtweg überall im Lebensalltag.

Der absolute Normalfall ist das aber noch nicht. Diskriminierung und Ausgrenzung sind nicht völlig verschwunden. Vieles ist erreicht, am Ziel sind wir aber noch nicht angelangt. Im Alltag reagieren auch wohlmeinende Zeitgenossen auf Lesben und Schwule oft peinlich berührt und unsicher. Ängste, Vorurteile und Ignoranz sind noch weit verbreitet.

Solange Homosexualität vielen noch immer als Problemfall gilt und nicht als ein Teil gesellschaftlicher Normalität, hört die Arbeit nicht auf.

Es gibt also noch viel zu tun. Aber wir sind weit fortgeschritten auf dem langen Marsch vom dunklen Rand in die Mitte der Gesellschaft.

Unternehmen wie Antinous“, bei denen Schwule offen Gesicht zeigen, leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass wir alle gemeinsam weiter vorankommen.

Allen Euren Unternehmungen wünsche ich von daher von Herzen viel, viel Erfolg.